FOS 11 Gestaltung in der dritten Lehrwerkstätte

Das Schullandheim Bliensbach wird immer bunter. Junge Leute haben mit Pinseln und Spraydosen Wände bemalt. Hinter der Kunstaktion steckt ein tieferer Sinn

Wer schon einmal das Schullandheim im Wertinger Ortsteil Bliensbach besucht hat, wird erstaunt sein über die Veränderung, die in den vergangenen Wochen dort vonstatten ging. Die Gänge leuchten jetzt nicht nur von weitem, sondern laden zum Innehalten ein. Da sind Symbole zu sehen, Mauern, Landschaften und Menschen. An den Wänden gibt es viel zu entdecken und zu interpretieren – Bilder, die anregen, über Freiheit und Hoffnung nachzudenken.

Die Szenarien stehen in einem größeren Zusammenhang und sind politisch motiviert: „Menschenrechte in Farbe und unantastbar“. 70 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verfolgt der Trägerverein des Bliensbacher Schullandheims ein besonderes Projekt zur Jugendintegration. Für Geschäftsführer Hubert Götz ein Muss in Zeiten zunehmender Verschlechterung der Menschenrechtslage: „Es war schon immer unser Anliegen, aktuelle Themen aufzugreifen und ein kleines bisschen gegenzusteuern“, nennt er die gegenwärtige Diskussion im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Demnach habe Deutschland ein massives Rassismusproblem, wie die Bundesregierung kürzlich einräumte.

Das integrative Projekt zur demokratischen Erziehung richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zwölf und 27 Jahren aus dem Landkreis Dillingen, vor allem mit Migrationshintergrund. Fast 50 junge Leute aus verschiedenen Schulen hatten sich freiwillig gemeldet, am Kunstprojekt in Bliensbach teilzunehmen. So wie zum Beispiel Mathis Agbih aus Waldkirch. Der 18-Jährige besucht derzeit die Montessori-Fachoberschule. Im Team hat er sich den Artikel 27 vorgenommen: „Das Urheberrecht ist ein spezielles Gesetz, damit die eigenen künstlerischen Kreationen und schriftstellerischen Arbeiten von anderen nicht ohne Erlaubnis kopiert oder genutzt werden können.“

Lesen Sie jetzt: Die heutige Ausgabe Ihrer Tageszeitung als E-Paper.

Nach einer Einführungsveranstaltung Anfang des Jahres zur Menschenrechts-Charta konnten sich die Teilnehmer einen Artikel, der sie besonders ansprach, aussuchen. Dann ging es in die Entwurfsphase in der Wertinger Kunstschule. Unter der Anleitung von Burga Endhardt und Barbara Mahler stellten die Teilnehmer Szenen von Menschenrechtsverletzungen selbst nach und fotografierten sie. Bevor im Schullandheim die praktische Umsetzung erfolgte, wurden Schablonen anhand der Fotoaufnahmen gefertigt. „Zuerst fühlte ich mich überfordert von der Aufgabe, ich habe so etwas noch nie gemacht, doch man wächst in die Sache rein“, erzählt Michele Lindner aus Geratshofen.

Im Haus roch es in den vergangenen Wochen überall nach frischer Farbe. Bis zum gestrigen Freitag wurde mit Utensilien hantiert, die für Wandmalereien in Street-Art-Techniken nötig sind. Vor zwei Wochen hatte eine Gruppe dabei unabsichtlich den Feueralarm ausgelöst (wir berichteten). Dabei war das Kunstprojekt von langer Hand geplant und bis ins Detail ausgetüftelt worden. Die eingesetzten Acrylfarben enthalten keine gesundheitsgefährdeten Lösungsmittel und sind für Innenräume geeignet. Zusätzlich wurde mit Schutzmasken gearbeitet, die Feinstaub und Lösungsmittel filtern.

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, zitiert Barbara Mahler den Komiker Karl Valentin und lacht. Einige schlaflose Nächte habe ihr das Projekt bereitet. Jetzt blickt sie auf das vollbrachte Wandwerk und ist ziemlich stolz auf das Ergebnis: „Erstaunlich, was man in wenigen Wochen zustande bringen kann.“ Cathryn Küppers aus Haunsheim, 19 Jahre alt, stimmt ihr zu: „Eigentlich bin ich nicht unwissend in diese Arbeit gestolpert.“ Sie habe erste Erfahrungen mit Graffiti zu Hause gemacht und die Wände ihres Zimmers mit Drachen versehen. Trotzdem sei der Anfang schwer gewesen. Doch mit jedem Pinselstrich sei ein Schub zu verspüren gewesen.

Burga Endhardt, anfangs ebenfalls etwas skeptisch, ob das Projekt gelingt, lobt die Arbeit: „Toll, wie jeder auf seine Weise das Thema umgesetzt und sich selbst eingebracht hat.“ Vielen sei während des Malens klar geworden, dass die Menschenrechte für manche ganz selbstverständlich, für andere aber völlig außer Kraft gesetzt sind.

Tagtäglich höre man in den Medien über die Verletzung der Menschenrechte, von Diskriminierung, Freiheitsberaubung und Folter. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dies zu verstehen und zu erspüren, sei das Ziel dieses Kunstprojektes gewesen.

Der gestrige Abschluss bedeutet indes noch nicht das Ende. Die Protagonisten setzen das Thema bis Ende des Jahres fort. Im Juli soll eine Veranstaltungsreihe zu den Menschenrechten folgen mit Workshops, Lesungen und Vorträgen. Außerdem sind Begegnungen und weitere Malaktionen im Schullandheim geplant. Jugendliche aus Deutschland, der Ukraine, aus Frankreich, Tschechien und Litauen werden Ideen formulieren, was sie tun können und was für die Bewahrung der Menschenrechte getan werden muss. Abgeschlossen wird das integrative Projekt mit einem Europa-Seminar. „Es ist wichtig, dass Integration gelingt“, macht Verena Bürkner, Vereinsvorsitzende und ehemalige Schulleiterin deutlich. Während des Kunstprojekts seien viele Freundschaften entstanden.

Zukunft gemeinsam gestalten Das Projekt wird gefördert vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab Ende 2015 für die Dauer von drei Jahren. Es ist ein Beitrag zur gesellschaftlichen und sozialen Integration von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund im Landkreis Dillingen. Das Kunstprojekt, das im Schullandheim Bliensbach, stattfand, ist ein Teil davon.

Ganzer Artikel in der Wertinger Zeitung